Frühkindliche Reflexe und ihre Auswirkungen bei Nichtintegration
Der Moro-Reflex ermöglicht den ersten Atemzug direkt nach der Geburt. Er bereitet das Baby darauf vor, den Kopf in vertikaler und horizontaler Lage zu halten. Kommt es zu einer plötzlichen Lageveränderung über die Mittellinie hinaus, kommt das Gleichgewichtssystem aus der Balance.
Das Reflexmuster stellt also eine Angstreaktion dar. Das heißt, wenn der Moro-Reflex aktiviert wird, werden die Verteidigungsmechanismen angesprochen. Stresshormone Adrenalin und Korsisol werden ausgeschüttet. Das bedeutet, dass alle Sinne hypersensibel werden.
Ein offener Moro-Reflex kann folgende Merkmale aufweisen:
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erschwerter Umgang mit Veränderungen – sie sträuben sich oft gegen Neues
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schlechte Anpassungsfähigkeit – spielen nicht gerne mit anderen Kindern
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erschwerter Umgang mit Kritik – fühlen sich leicht angegriffen
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schwaches Selbstwertgefühl – sie trauen sich selbst wenig zu
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Ängstlichkeit bis zu Panik/Schulangst
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Stimmungsschwankungen
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eventuelle Überempfindlichkeiten aller Sinne
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hohe Geräuschempfindlichkeit – Hintergrundgeräusche können nur schwer ausgeschaltet werden – dadurch mangelnde Konzentration
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mangelnde Ausdauer
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Neigung zu ständig wiederholenden Verhaltensmustern
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Allergien
Eigenschaften
Entstehung: ab der 10. Schwangerschaftswoche und bis zur 30. Schwangerschaftswoche voll ausgebildet
Dauer: ab Geburt bis 3. – 4. Lebensmonat
Integration: im 3. – 4. Lebensmonat
Tonischer Labyrinthreflex TLR
Der Reflex wird aktiviert, bei Veränderung der Kopfposition. Das heißt, wird der Kopf nach vorne gebeugt, löst es den TLR vorwärts aus. Wird der Kopf in den Nacken gelegt, wird der TLR rückwärts ausgelöst.
Beim TLR vorwärts kommt es zu einer allgemeinen Tonuserschlaffung. Das bedeutet, der Körper des Kindes kommt in die fötale Beugehaltung. Dies kann man sehr schön beobachten, wenn das Baby auf dem Bauch liegt. Dies ermöglicht dem Kind, sich bereits im Mutterleib optimal an die Raumverhältnisse anzupassen. Dadurch hat das Kind aber auch einen max. Berührungskontakt mit der Mutter. Somit fühlt sich das Kind beschützt und geborgen.
Wenn das Kind auf dem Rücken liegt, ist der TLR rückwärts aktiv. Das bedeutet, die Streckmuskeln kommen zum Einsatz. Durch den TLR rückwärts ist das Baby in der Lage, sich in der unmittelbaren Vorgeburtsphase mit dem Kopf in den Geburtskanal zu strecken. Es dreht sich dann mit anderen frühkindlichen Reflexen durch den Geburtskanal. Kommt es zu einer Störung des normalen Geburtsvorganges, kann man davon ausgehen, dass der TLR rückwärts nicht zu seinem Höhepunkt gekommen ist. Somit kann er auch nicht richtig integriert werden.
Folgende Auffälligkeiten können bei offenem TLR beobachtet werden:
TLR vorwärts
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Reisekrankheit
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eingeschränktes Zeitgefühl
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eingeschränkte Organisationsfähigkeit
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schlaffer Muskeltonus
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schlechte Haltung
TLR rückwärts
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Zehenspitzengang
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straffer Muskeltonus
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auffällige Halte- und Stellreaktionen
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räumliche Wahrnehmungsprobleme
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Verhinderung von Überkreuzbewegungen
Wenn das Kind auf der Welt ist, hilft der TLR dem Kind sich an die neuen Bedingungen der Schwerkraft einzustellen. Durch das Beugen des Kopfes nach vorne vermindert sich der Muskeltonus, jedes Strecken des Kopfes erhöht den Muskeltonus.
Eigenschaften
Entstehung: ab der 12. Schwangerschaftswoche
Dauer: aktiv ab Geburt bis zum 4. Lebensmonat
Integration: vorwärts im 3. – 4. Lebensmonatrückwärts im 2. – 4. Lebensmonat
Dadurch wird die Tiefensensibilität stimuliert und das Kind bekommt die Möglichkeit sein Gleichgewicht, den Muskeltonus und die Tiefensensibilität zu trainieren. Wenn der TLR nicht integriert ist, kann das Auswirkungen haben auf den Muskeltonus und auf das Gleichgewichtssystem. Der Mensch kann sich nie so richtig entspannen.
Kinder mit einem offenen TLR vorwärts haben oft einen schwachen Muskeltonus und eine schlechte Haltung. Die Stimulation vom retikulären Aktivierungssystem zum Kortex reicht nicht aus, sodass es auch Probleme mit der Aufmerksamkeit und der Konzentration kommen kann.
Symmetrisch Tonischer Nackenreflex STNR
Der Symmetrisch Tonische Nackenreflex wird im Vierfüßlerstand ausgelöst. Wird der Kopf angehoben, erhöhen sich der Strecktonus in den Armen und der Beugetonus in des Hüften. Wird der Kopf gebeugt, erhöht sich der Beugetonus in den Armen mit der Folge, dass sie sich beugen und der Strecktonus von Hüften und Knie verstärkt sich.
Der STNR stärkt den Muskeltonus der Nacken- und Rückenmuskeln und ist somit wichtig für die richtige Körperhaltung. Der STNR hilft dem Kind aus der Bauchlage heraus auf Hände und Knie in den Vierfüßlerstand zu kommen. Damit das Kind ins Krabbeln kommt, muss der STNR zu einem gewissen Maße integriert sein.
Wenn das nicht der Fall ist, wird das Kind nicht krabbeln, sondern rollen, auf dem Popo rutschen oder einfach nur dasitzen, bis es aufstehen und laufen kann.
Der STNR trainiert auch das Sehvermögen. Beim gebeugten Kopf nach unten schaut das Kind nah und wenn es den Kopf hebt und nach vorne schaut, wird die Fernsicht trainiert. Dies ist ganz wichtig, um von der Tafel abzuschreiben und sich dann wieder auf sein Heft zu konzentrieren. Auch wichtig, um beim Lesen in der richtigen Zeile zu bleiben.
Bei offenem STNR kann es zu folgenden Auffälligkeiten kommen:
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Ungeschicklichkeit
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Zehenspitzengang
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W-Beinhaltung beim Sitzen auf dem Boden
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motorische Unruhe / hyperaktives Verhalten
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langsames Abschreiben von der Tafel
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Probleme beim Fokussieren von Fern- und Nahsicht (Tafel/Schreibblatt)
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dadurch auch Probleme bei Ballspielen
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schlechte Haltung
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Lümmelhaltung beim Sitzen
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auffälliges Gangbild (Kopf nach vorne)
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erhöhte Streckmuskulatur in Beinen
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Schwierigkeiten beim Erlernen des Brustschwimmens
Eigenschaften
Entstehung: ab der 18. Schwangerschaftswoche
Dauer: aktiv ab dem 6. Lebensmonat
Integration: im 10. Lebensmonat
Spinaler Galantreflex
Dieser Reflex wird ausgelöst, wenn man dem Baby neben der Wirbelsäule vom Nacken zum Kreuzbein entlang streicht. Die Hüfte dreht sich zu dieser Seite, das Bein wird gebeugt. Er entwickelt sich ab der 15. SW und sollte bis zum 9. Lebensmonat integriert sein. Der Reflex ist entscheidend für die Kopfdrehung während der Schwangerschaft und bereitet das Kind auf die richtige Geburtsposition vor. Während der Geburt unterstützt er die Bewegung des Kindes aus dem Geburtskanal.
Der Spinale Galantreflex ist wichtig für die Entwicklung des Gleichgewichtes. Kinder mit offenem Galantreflex sind oft sehr unruhig und hyperaktiv. Er kann ausgelöst werden, durch enge Kleidung oder Gürtel oder auch einfach nur durch Anlehnen an den Stuhl und kann so zum Herumzappeln führen.
Die meisten Kinder tragen am liebsten lockere Kleidung. Ist der Reflex nur einseitig offen, kann dies zu einer Skoliose führen. Manche Kinder nässen auch noch über das Alter von 5 Jahren ein.
Ältere Kinder lernen die Lendenwirbelsäule unbewegt zu halten, was als Erwachsener zu starken Rückenproblemen führen kann. Dadurch wird die Koordination von Ober- und Unterkörper sehr beeinträchtigt.
Zu folgenden Auffälligkeiten kann es bei einem offenen Galantreflex kommen :
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mangelnde Blasenkontrolle ist möglich
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Bettnässen bei Kindern über das Alter von 5 Jahren hinaus
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Verdauungsstörungen können auftreten
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das Kind kann keine enge Kleidung tragen
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das Kind ist sehr unruhig
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das Kind hat Schwierigkeiten, ruhig sitzen zu bleiben
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daraus ergeben sich dann Konzentrationsprobleme
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schlechtes Kurzzeitgedächtnis ist möglich
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übermäßige Schwatzigkeit kann beobachtet werden
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Skoliose, schiefer Gang und einseitige Hüftrotation fallen auf
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Unruhe und Hyperaktivität
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schlechte Handschrift kann die Folge sein
Eigenschaften
Entstehung: ab der 15. – 18. Schwangerschaftswoche
Dauer: aktiv ab dem 5. – 6. Schwangerschaftsmonat – hilft beimGeburtsprozess
Integration: Mitte 5. Lebensmonat bis zum 9. Lebensmonat
Asymmetrisch Tonischer Nackenreflex ATNR
Dieser wird ausgelöst, wenn der Kopf zur Seite gedreht wird. Dann strecken sich Arm und Bein auf der gleichen Seite. Auf der anderen Seite beugen sich Arm und Bein. Der Reflex wird auch „Fechterhaltung“ genannt und entsteht im Mutterleib etwa zu der Zeit, in der die Mama zum ersten Mal die Bewegungen des Kindes spürt. Diese Bewegungen sollten im Laufe der Schwangerschaft an Stärke zunehmen und damit auch die Bewegungsentwicklung und den Aufbau des Muskeltonus vorantreiben.
Der ATNR unterstützt zusammen mit anderen Reflexen den Geburtsvorgang. Er hilft dem Kind durch eine Reihe von Drehungen sich an das mütterliche Becken anzupassen, sodass es in einer langsamen Spirale den Geburtskanal hinunter wandert. Diese Drehungen sind wiederum notwendig, um dem Baby den Weg durch das im Verhältnis zu seinem Kopf enge mütterliche Becken zu erleichtern. Bei einem normalen Geburtsvorgang wird der ATNR maximal stimuliert. Er erfährt seinen Höhepunkt, wenn sich beim Geburtsprozess der Kopf dreht, damit die Hebamme das Baby herausholen kann. Wenn sich das Köpfchen nicht von alleine dreht, hilft die Hebamme nach. Auch beim ATNR gilt, wenn es Abweichungen vom normalen Geburtsprozess (z.B. Kaiserschnitt) gibt, kommt er nicht zu seinem Höhepunkt und kann nicht vollständig integriert werden.
Wenn der ATNR über den 4. – 6. Lebensmonat hinaus seinen Einfluss behält, kann es Probleme in der weiteren grob- und feinmotorischen Entwicklung kommen. Eine Kopfdrehung löst weiterhin eine unwillkürliche Strecktendenz in den Muskeln der Gliedmaßen auf der Gesichtsseite aus.
Wenn Kinder sich nicht zum richtigen Zeitpunkt vom Rücken auf den Bauch drehen oder wenn das Kriechen auf dem Bauch merkwürdig aussieht oder gar nicht stattfindet, kann ein ATNR dafür verantwortlich sein, da Beugung und Streckung der Gliedmaßen immer noch von der Kopfbewegung und -haltung beeinflusst werden und damit alle Überkreuzbewegungen erschwert sind.
Besonders deutlich kann man Reste eines ATNR bei Kindern beobachten, wenn sie in die Schule kommen und Lesen und Schreiben lernen sollen. Sie können oft nicht die Linien einhalten, der linke Rand rutscht immer weiter nach rechts, der Stift wird merkwürdig gehalten, das Kind drückt so stark auf, macht viele Fehler beim Abschreiben, das Kind mag das Schreiben nicht und vermeidet es oft. Es wird Probleme bei den Hausaufgaben geben. Auch das Lesen kann beeinträchtigt sein.
Mühelose Augenfolgebewegungen bilden die Voraussetzung dafür, dass man beim Lesen einer Zeile Buchstaben, Satzzeichen oder ganze Wörter auslässt oder gar in den Zeilen verspringt.
Kinder mit offenem ATNR können folgende Auffälligkeiten aufweisen:
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Schwierigkeiten bei der visuellen und auditiven Wahrnehmung
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noch nicht festgelegte Dominanz von Auge und Ohr
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Unsicherheit in der Rechts-Links-Unterscheidung
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Drehen des Blattes bei waagerechter und/oder diagonalen Linien
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untypische Bewegungsmuster beim Krabbeln und Kriechen
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Schwierigkeiten beim Überqueren der Mittellinie
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verkampfte Stifthaltung
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langsames Abschreiben „Kleben am Blatt“
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Gleichgewichtsprobleme
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Drehen des Kopfes löst Mitbewegungen von Arm und Bein aus
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auch beim Lesen wird der Kopf mitbewegt
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Buchstaben und Wörter weden ausgelassen
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die Eigendynamik verursacht emotionalen Stress und eine niedrige Frustationsgrenze
Eigenschaften
Entstehung: ab der 13 Schwangerschaftswoche
Dauer: ab dem 4. – 6. Schwangerschaftsmonat – hilft beim Geburtsprozess
Integration: 6. – 7. Lebensmonat
Quelle: *Bärbel Hölscher – Kraftvoll! Reflexe prägen das Leben *Dr. Harald Blomberg – Bewegungen, die heilen